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Klagen wegen Klimaveränderung – Neue Herausforderung für Kommunikatoren

 Im Januar 2020 flog ich mit einem Charterflugzeug über die Insel Grand Bahama (Bahamas), um mich über die Auswirkungen des verheerenden Hurricanes Dorian zu informieren. Es war ein schreckliches Bild der Zerstörung. Dieser Hurricane, der mit einer bisher ungekannten Wucht und Größe in dem verletzlichen Inselstaat einfiel, wurde offiziell als Hurricane der Kategorie 5 der im Jahr 1969 entwickelten Saffir-Simpson-Hurrikan-Windskala (SSHWS) eingestuft. Tatsächlich aber ließ dieses Monster alle gängigen Kategorien hinter sich. Die Klimaexperten sind sich einig: Die veraltete Bewertungsskala muss dringend erweitert werden. Und: Wir werden in Zukunft mehr solcher Hurricane-Monster erleben.

Ein durch Hurricane Dorian zerstörtes Rohöllager auf Grand Bahama (Bahamas) Bild: Uwe Wolff

Wir flogen über ein Gebiet, in dem das norwegische Unternehmen Statoil ein großes Rohöllager unterhält. Hurricane Dorian riss die gigantischen Deckel von den Tanks. Rohöl lief aus und verseuchte Wasser und Boden. Trinkwasser und Korallenriffe waren in Gefahr. Bürger und NGO’s fragten sich anschließend zurecht, ob das norwegische Unternehmen, wohl wissend, dass die karibischen Stürme aufgrund der Klimaveränderung seit Jahren zunehmend stärker werden, tatsächlich alles dafür getan hatte, diese Anlage entsprechend zu sichern.

Polarkappen schmelzen, Meeresspiegel steigen, Stürme werden stürmischer, Hurricanes stärker und die Sommer heißer. Dürre breitet sich aus und Gletscher verschwinden. Die Auswirkungen eines von Menschen gemachten Klimawandels sind nicht zu leugnen. Zwei Fragen tauchen in diesem Zusammenhang auf: 1) Wer trägt die Verantwortung für den Klimawandel und seine Folgen? 2) Haben sich Staaten und Unternehmen darauf vorbereitet, die Bevölkerung zu schützen, falls (Industrie-)Anlagen von einem Klimaextrem wie Hurricane Dorian zerstört werden?

Als Verursacher des Klimawandels stehen für Klimaaktivisten bestimmte Industriezweige („carbon majors“ wie Öl- und Zementindustrie) im Fokus, die dafür verstärkt juristisch belangt werden. So klagen derzeit fünf Städte und drei Landkreise in Kalifornien gegen große Ölproduzenten, darunter Chevron, Exxon, BP, ConocoPhillips und Shell. Mit Hoboken (New Jersey) klagt nun auch eine Ostküstenstadt. Die beklagten Firmen sollen laut Klageschrift die Hauptverursacher für Klimaerwärmung und Klimaveränderung sein. Für die Folgen sollen sie nun den Klägern etliche Milliarden Schadensersatz bezahlen.

Gigantische Schadensersatzforderungen

Doch nicht nur vermeintliche Verursacher von Klimaveränderungen müssen sich vermehrt vor Gerichten verantworten, sondern auch solche Unternehmen, Staaten oder Organisationen, die es versäumt haben, präventiv ihre Anlagen und Gebiete gegen die steigenden Herausforderungen der Klima- und Umweltveränderungen abzusichern und die in deren Umkreis lebenden Menschen zu schützen. So klagte beispielsweise in Deutschland die Organisation „Deutsche Umwelthilfe“ erfolgreich im Zuge des Diesel-Abgas-Skandals gegen große deutsche Städte, um Fahrverbote gegen Dieselfahrer durchzusetzen, weil die vorgeschriebenen Stickstoffwerte durch schmutzige Diesel überschritten wurden.

Wir sprechen hier also nicht etwa von Klima- und Umweltaktivisten, die ihre Schlachten von der Straße nun zunehmend in den Gerichtssaal verlegen. Wir sprechen hier von einer ganz eigenen Klasse von Klimawandel-Klagen, die sich längst nicht nur in den USA abspielen und die inzwischen eine ernsthafte Herausforderung sowohl für die beklagten Einheiten, als auch für die involvierten Gerichte darstellen. Wir sprechen von Schadensersatzklagen in gigantischen Höhen.

Die Welt brennt, Anwaltsfirmen laufen heiß

Die großen Anwaltskanzleien, vor allem die angelsächsischen, haben sich auf die neue „class of action“ vorbereitet. Fachautorin Samantha Stokes stellte im Januar 2020 vor diesem Hintergrund eine Veränderung in der Legal Industrie fest: „As the World Burns, Law Firms Are Responding With Climate-Focused Practices“ überschrieb sie ihre Analyse des Marktes auf law.com / The American Lawyer. Eine Untersuchung der London School of Economics untermauert ihre Feststellung: Die Zahl, der auf die Folgen der Klimaveränderung bezogenen Auseinandersetzungen, ist weltweit enorm angestiegen. Bis zum Mai 2019 konnte das Grantham Institute alleine in den USA 1,023 Fälle identifizieren, die hauptsächlich von NGOs, Bürgerbewegungen und Individuen betrieben wurden.

Diese neue juristische Spielwiese ruft neben den Anwälten weitere Mitspieler auf den Plan, die sich ebenfalls dafür interessieren: Litigation-Funder und Litigation-PR Experten.

Neues Feld für Litigation-PR

Als Krisen- und Litigation-PR Kommunikatoren stehen wir damit nicht nur vor neuen Herausforderungen, sondern auch vor neuen Chancen und einem durchaus attraktiven Kommunikationsfeld. Vor allem dann, wenn wir auf der Seite der Geschädigten kämpfen. Dann erscheint alles ganz leicht: In aller Regel handelt es sich um sehr viele Geschädigte (Masse!). Die Sympathien der Medien und der Öffentlichkeit gelten als gesichert (Medien! Herzen!). In den meisten Fällen dürfte das David-gegen-Goliath-Prinzip greifen und wir stehen definitv auf der Seite der „Guten“ (Karmapunkte!). Der Gegenseite bleibt in so einem Umfeld nicht viel mehr übrig, als sich auf den juristischen Teil zurückzuziehen, um wenigsten im Gerichtssaal ein paar Punkte zu sammeln.

Doch so einfach wird es für uns Kommunikatoren bei diesem climate-change-related Fällen nicht sein. Tabak- und Asbestprozesse sowie Dieselklagen haben die Unternehmen schlauer werden lassen. Sie haben ihre Instrumentarien verfeinert, ihre Taktiken nachjustiert und schrecken auch nicht vor knallharten Schmutzkampagnen gegen die Kläger zurück. Das muss man wissen. Auch auf der Gegenseite arbeiten hervorragende Krisen- und Litigation-PR-Spezialisten. Volkswagen beispielsweise hat auf die Klageflut reagiert und hat inzwischen eine eigene Litigation-PR-Abteilung aufgebaut.

Herausforderung für die Kommunikation

Und noch etwas muss man wissen: Mit Sympathien alleine lassen sich keine Prozesse gewinnen. Auch nicht im Court of Public Opinion. Das neue Themenfeld ist emotional stark aufgeladen und deshalb auch sehr volatil. Die Stimmung kann leicht kippen. Die Kunst besteht darin, die Mandanten, die sich auf ein hohes moralisches Podest stellen (oder von uns gestellt werden), dort auch die Balance halten und nicht fallen.

Um all das zu vermeiden, müssen wir zusätzlich harte, verlässliche Fakten liefern, die ein starkes, tragfähiges Fundament für die Schriftsätze der Juristen liefert. Ja, ich vertrete die Meinung, dass wir Kommunikatoren dazu unseren Schreibtisch verlassen müssen, um uns ins Feld zu begeben und um dort fallrelevante Informationen zu besorgen, die wir dann für die mit uns arbeitenden Anwälte aufbereiten („case intelligence“).

Wir müssen in Erfahrung bringen, was die Gegenseite plant. Wir müssen mit den Betroffenen sprechen. Wir müssen in Erfahrung bringen, wie die Gegenseite versucht, auf die Medien einzuwirken. Und weil wir als Kommunikatoren um die Macht der Bilder bei solchen Auseinandersetzungen wissen und visuell denken können, müssen wir mithelfen, fallrelevante Bilder zu beschaffen. Gerade wir Kommunikatoren können solche essentiellen Informationen besorgen und sie aufgrund unseres beruflichen Hintergrundes bewerten und sie zeitnah in den juristischen Prozess einbringen. Sicherlich, das ist im Grunde bei jeder öffentlichkeitswirksamen juristischen Auseinandersetzung so, aber das gilt umso mehr, wenn eine große Masse an Geschädigten und Beobachtern, ja vielleicht sogar der ganze Fall, in einem Meer aus Emotionen schwimmt.

Gefahr: „over exposure“

Was allerdings auch passieren kann: Das öffentliche Interesse an Klima-Fällen kann schwinden, wenn zu viele solcher Fälle durch die Medien getrieben werden. Das nennt man „over exposure“, einem Begriff aus der Welt der Prominenten und Models. Die kann man ab einem gewissen Punkt auch nicht mehr sehen, wenn sie einem zu oft auf zu vielen medialen Kanälen begegnen. Hier hilft konswequente kommunikative Kreativität und die Bereitschaft, jenseits der bisherigen Grenzen zu denken, um die notwendige Aufmerksamkeit zu bekommen.

Mit den klimabezogenen Klagen tut sich für uns Krisen- und Litigation-PR-Experten ein neues, weites und attraktives Feld auf.  Mit den uns zur Verfügung stehenden bisherigen Instrumentarien dürften wir für die erste Runde gut ausgestattet sein. In jeder weiteren Runde müssen wir uns neu einstellen.

Übrigens: Ich konnte bisher nicht in Erfahrung bringen, ob das norwegische Unternehmen

Statoil jemals für das auslaufende Öl auf Grand Bahma verklagt wurde. Ich konnte auch nicht in Erfahrung bringen, ob eventuell für ein Mantel des Schweigens Geld geflossen ist. Ich weiß nur eines: In Zukunft werden solche Fälle ganz anders behandelt und Unternehmen wie Statoil müssen sich warm anziehen, wenn sie die Folgen des Klimawandels ignoriert haben sollten.

Uwe Wolff