Von Uwe Wolff
Die Schuljahre in den Bundesländern neigen sich dem Ende zu. Kinder wechseln von der Grundschule auf weiterführende Schulen. Damit beginnt der jährliche Wettlauf der Eltern um die besten und geeignetsten Schulen. Doch zwischen Grundschule und der Traumschule der Eltern stehen die Schulämter, die die Verteilung der begehrten und raren Schulplätze regeln. So mancher Traum droht dabei zu zerplatzen. Für die Schul- bzw. Bildungsanwälte der Republik bedeutet das Hochbetrieb. Wie hart ist der Kampf zwischen Eltern und Schulämtern in den letzten Jahren geworden? Wie kommt es zu dem urbanen Phänomen des „Vanity-Schoolings“? Gibt es einen Boom der Schulanwälte? Wie reagieren Schulen und Schulämter? Und warum scheint es, dass die Schulämter zu erbärmlichen den aktuellen Entwicklungen hinterherhinken? Darüber habe ich mit Sibylle Schwarz aus Wiesbaden gesprochen, die bekannteste Schulanwältin Deutschlands.
UWE WOLFF: Frau Schwarz, inzwischen sind Sie die bekannteste Bildungsanwältin in Deutschland. Was gab Ihnen den Anstoß diesen rechtlichen Bereich auszuwählen?
SIBYLLE SCHWARZ: Öffentliches- und Verwaltungsrecht war schon immer meins. Ich war noch jung im Beruf als ich eines Tages einen Anruf einer Frau bekam, deren Tochter nicht auf eine bestimmte Schule gelassen wurde. Ich sagte der Mutter, dass ich nicht wirklich viel Ahnung in Sachen Schulrecht habe. Das war ihr egal – und dann habe ich ihr Kind auf die Schule gekriegt. Das war der Punkt, an dem ich mir sagte: Ok dann ist eben Schulrecht, Schule, Kita, Uni meine Nische und nicht Baurecht, Gebührensätze, Wasserrecht oder Friedhofssatzung.
UWE WOLFF: Damit haben Sie ja schon das Spektrum Ihrer Tätigkeit beschrieben. Wenn ich von Bildungsrecht, Bildungsanwältin spreche, dann ist das vom Kindergarten bis zur…
SIBYLLE SCHWARZ: …. Beamtenprobezeit. Das ist die grobe Spanne.
UWE WOLFF: Das Gros der Fälle, mit denen Sie zu tun haben, liegt dann wo?
SIBYLLE SCHWARZ: Schule. Einfach weil es 11 Millionen Schüler und Schülerinnen sind. Das sind viele.
UWE WOLFF: Und seit wann machen Sie das schon, Frau Schwarz?
SIBYLLE SCHWARZ: Seit 2004. Am 27. Oktober dieses Jahres mache ich 20 Jahre voll.
UWE WOLFF: In den fast 20 Jahren hat sich in ihrem Bereich ja so einiges entwickelt. Wie würden Sie das beschreiben? Hat sich ihr Konkurrenzumfeld erweitert? Gibt es heute mehr Bildungsanwälte?
SIBYLLE SCHWARZ: Nein. Von den Kollegeninnen und Kollegen sind viele verschwunden, was teilweise auch am Alter lag. Die waren vielfach deutlich älter als ich und sind jetzt in Rente. Ich glaube, fast alle haben das Problem, dass die Familien wenig Geld haben oder knapper bei Kasse sind. Ich könnte ganz oft viel mehr tun, aber mit unseren Stundensätzen sind wir dann ganz schnell am Ende der Fahnenstange, weil die Eltern sich das vielfach nicht leisten können.
UWE WOLFF: Das ist bitter für Familien, die wenig Geld haben…
SIBYLLE SCHWARZ: Da haben wir tatsächlich ein Problem: Diejenigen, die es sich leisten können, kriegen auch etwas für ihr Geld, weil alle Anwälte, die sich auf dieses Rechtsgebiet spezialisiert haben, arbeiten nicht nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, sondern nach Stundensatz. Die Rechtschutzversicherung bezahlt aber nur nach RVG. Ich kann auch einmal nach RVG abrechnen, weil der Fall interessant ist oder weil ich jemandem helfen will, aber nur auf Basis des RVG kann ich nicht meinen Lebensunterhalt verdienen.
UWE WOLFF: Ist die Klagebereitschaft in den letzten 20 Jahre in ihrem Bereich gestiegen?
SIBYLLE SCHWARZ: Ich höre immer wieder von Eltern, dass sie eigentlich gar nicht klagen wollen, und sie keine Streithansel seien. Sie haben Angst, dass die Lehrkraft es mitkriegt und diese dem Kind vorwirft, dass es nur deshalb auf der Schule ist, weil die Eltern geklagt hätten und die auch noch das Geld dazu hatten. Das hält einige Eltern vom Klagen ab.
UWE WOLFF: Ist diese Sorge berechtigt?
SIBYLLE SCHWARZ: Nein, auf die Klage reagiert das Schulamt. Die haben eine Vorgangsakte. In der Schülerakte der Schule findet sich dazu nichts. Die Lehrer wissen davon auch nichts, es sei denn, es wird gequatscht. Der Schulleiter wird es vielleicht mal hören, denn er muss ja oft eine Stellungnahme zu freien Plätzen machen. Aber der Mathe- oder Physiklehrer, der dann vor der Klasse steht, weiß es eigentlich selten.
UWE WOLFF: Es drängt sich vor allem in urbanen Zentren das Gefühl auf, dass Eltern mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln ihr Ziel verfolgen, das Kind auf ihre Wunschschule zu schicken. Wenn sich das aber nur wenige leisten können, dann ist das offenbar eine Sache der privilegieren Menschen.
SIBYLLE SCHWARZ: Dass Eltern Himmel und Hölle in Bewegung setzen, damit das Kind auf die von ihnen favorisierte Schule geht, damit habe ich grundsätzlich kein Problem, denn da habe ich fast 20 Jahre einfach schon zu viel erlebt. Nehmen wir einmal das Thema Fremdsprachen. Im Rhein-Main-Gebiet, das demnächst Standort für die Ukraine-Hilfe wird, kommen mehr internationale Militärs, vor allem Amerikaner. Diese Eltern müssen die richtige Schule finden. Frankfurt hat den großen internationalen Flughafen, die internationalen Banken. Hier sind viele Sprachen, viele Herkunftsländer und viele binationale Familien und das wird in Berlin nicht anders sein. Oder wenn die Mutter Französin ist und seit der Geburt mit ihrem Kind in der Muttersprache spricht, dann will die Mutter eben, dass ihr Kind Französisch vertieft und auch das französische Abi macht, also das internationale Baccalauréat. Wenn sie dann dafür Himmel und Hölle in Bewegung setzt, finde ich das in Ordnung. Ich hatte es auch mit Russen, Japanern, mit US-Amerikanern zu tun. Auf dem flachen Land brauche ich nicht mit Russisch oder Japanisch oder dem Baccalauréat kommen. Das bietet dort kein Gymnasium, das gibt’s da nicht. Also ist das ganz klar ein Großstadt-Phänomen.
UWE WOLFF: Doch dann gibt es auch das – wie ich es nenne – „Vanity-Schooling“ der Eltern. Es gibt ja nicht nur die bilingualen Schulen, sondern auch Schulen mit anderen Ausrichtungen. Da lernen die Kinder antike Sprachen, es gibt Schwerpunkte in Kunst und Sport oder sie haben einfach einen guten Ruf. Es ist vielleicht nicht unbedingt der Wunsch der Kinder Altgriechisch oder Latein zu lernen und auf so eine Schule zu gehen, sondern wohl mehr das Bedürfnis der Eltern, damit später angeben zu können, dass ihr Kind auf so eine besondere elitäre Schule geht.
SIBYLLE SCHWARZ: Also das ist eigentlich nicht verkehrt, wenn Kinder mit entsprechenden Begabungen auf solche Schwerpunktschulen gehen, aber wenn das Kind nicht mitzieht und nicht Latein lernen will, dann wird viel Nachhilfe gebraucht, viel gequält, es findet keine Freunde, also es kann auch ziemlich schief gehen.
UWE WOLFF: Ist es für Sie als Anwältin einfacher, den Fall eines bilingualen Kindes durchzufechten und vor Gericht zu verargumentieren als einen Fall für solche, die auf eine Vanity-Schule gehen sollen?
SIBYLLE SCHWARZ: Der Ruf der Schule ist kein Kriterium. Ich brauche einen rechtlichen Ansatzpunkt. Der Ruf der Schule, ob guter Ruf oder schlechter Ruf, weil es beispielsweise an einer Schule so viele Ausländer gebe, mit dem Argument muss ich dem Gericht erst gar nicht kommen. Natürlich höre ich oft von Eltern, dass sie ihr Kind nicht auf Schule X schicken wollen, weil sie einen schlechten Ruf hat. Doch das ist kein rechtlicher Ansatzpunkt. Ich benötige irgendein Argument für eine bestimmte Schule, eine besonderen AG, die das Kind besucht hat, ein sprachbezogenes Argument, herausragende naturwissenschaftliche Leistungen, damit ich ansetzen kann, sonst funktioniert es nicht.
UWE WOLFF: Im Zentrum der Kritik der urbanen Eltern steht die Schulplatzvergabe durch die Schulämter, die einem Kind schon auch mal einen zwei Stunden langen Schulweg zumuten, oder sich im Sprachbereich komplett ignorant zeigen. Sie nannten hatten den Fall eines Managers, der in zwei Jahren nach Spanien versetzt werden sollte und wollte, dass seine Kinder schon jetzt auf eine deutsch-spanische Schule gehen.
SIBYLLE SCHWARZ: Damit bin krachend gescheitert. Das hat keinen interessiert.
UWE WOLFF: Hat sich in den letzten Jahren etwas bei den Eltern verändert?
SYBILLE SCHWARZ: Ich sehe die Entwicklung, dass Eltern heute viel stärker die Fähigkeiten und Interessen ihrer Kinder unterstützen. Das war vielen Eltern früher egal. Die sagten dem Kind: Wenn Du dich dafür interessierst, mach‘ halt erst Abi und gehe dann studieren was Dich interessiert. Heute macht ein Kind schon drei Sportarten und hat ein eigenes Pferd, macht Musik – da wird ja schon ganz früh viel mehr hineininvestiert, mit Hobbies und mit irgendwelchen Möglichkeiten - und dann wollen Eltern natürlich, dass sich das in der Schule fortsetzt.
UWE WOLFF: Eltern wissen also heute sehr viel besser, was sie wollen und engagieren sich wesentlich stärker in den Schulen. Ist das eine Entwicklung, die Sie sehen?
SIBYLLE SCHWARZ: Ja. Das ist stärker geworden als früher. Es gibt definitiv mehr Schulen, die darauf Rücksicht nehmen, also die Schulen haben sich auch ausprofiliert. Ich glaube, das gab es früher nicht so, da gab es halt das Gymnasium und fertig, da hast du Abitur gemacht und gut war‘s. Heute ist es wichtig, dass du in der Japan-AG und im Japan-Austausch warst. Das Kind sagt es, die Eltern bestärken es darin und sie sagen mir dann auch, dass es ihnen wichtig sei und sie das haben wollen.
UWE WOLFF: Das starke Engagement der Eltern bedeutet dann, dass sie damit Schulämtern, Lehrern und Schulen auf die Nerven gehen?
SIBYLLE SCHWARZ: Ja, das würde ich sagen. Die Ausdifferenzierung ist zu einem großen Thema geworden. In Beratungsterminen können mir die Eltern ziemlich genau sagen, warum sie das Kind auf eine bestimmte Schule schicken wollen. Das ist definitiv so.
UWE WOLFF: Die Eltern engagieren sich mehr für die speziellen Neigungen ihrer Schulkinder. Wie ist da das Verhältnis zwischen Schulen und den Schulämtern? Wie wird das berücksichtigt?
SIBYLLE SCHWARZ: Ich illustriere das am besten an der NAWI-MINT-Geschichte (NAWI: Naturwissenschaften; MINT: Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik). Die Kinder zeigen ihren Eltern welche Neigungen und Interessen sie haben und die Eltern verstärken das. Aber die andere Seite, die Schule, die ist stehengeblieben. Die haben sich nicht entwickelt oder verändert. Ich lese ständig über Fachkräftemangel, gerade im Bereich MINT und NAWI. Zu mir kamen Eltern, beide Wissenschaftler, von denen das Kind ein entsprechendes Interesse mitgekriegt hatte. Das Kind wollte auch wie Papa und Mama sein. Da ist auch erst mal alles ok. Dann gab es ein Gymnasium mit dem Siegel „MINT-freundliche Schule“. Die schreiben sich das groß auf die Website. Die Eltern haben gedacht, ok, wir sind beide in diesem Bereich tätig, wir arbeiten da, das Kind hat ein bisschen was von uns mitgekriegt und interessiert sich dafür und wenn er dasselbe studiert, wie Mama oder Papa ist das super, also: MINT-freundliche Schule.
UWE WOLFF: Eigentlich perfekt….
SIBYLLE SCHWARZ: … eigentlich, aber der Junge hat dort keinen Platz bekommen. Wir haben geklagt und angeführt, dass sie als MINT-freundliche Schule einen Schwerpunkt anbieten, also etwas Besonderes, das sie auch fett auf die Website annoncieren. Daraufhin bekam ich von der Schulbehörde ein Schreiben, in dem die sich fast schon auf die Schulter geklopft haben, weil sie es geschafft haben, das Kind nicht auf diese Schule zu lassen. Da denkt man sich so: Leute, das ist ein 10-Jähriger, der einfach nur auf eine besondere Schule will und ihr schreibt mir zurück, dass dies alles richtig sei, ihn fernzuhalten? Geht’s noch? Ich bin vors Gericht gezogen. Dort wurde mir gesagt: MINT-freundliche Schule, das mag zwar auf der Website der Schule stehen, interessiert uns aber nicht, denn das ist eine private Initiative.
UWE WOLFF: Eine private Initiative einer öffentlichen Schule? Wie geht das?
SIBYLLE SCHWARZ: Die private Initiative ist vor ungefähr einem Monat in ihrer Bedeutung von der Kultusministerkonferenz bestätigt worden, also die Kultusminister haben alle ihr Händchen gehoben, dass es die Initiative MINT-freundliche Schule gibt. Und wenn ich dann vor Gericht stehe und mir das öffentliche Verwaltungsgericht sagt, das dies eine private Initiative sei, bin ich entsetzt. Das bedeutet doch, dass sich hierzulande engagierte Unternehmen und Privatleute zusammentun und Initiativen in die Welt bringen, um Kinder in bestimmte Bereiche oder Schulformen, Ausbildungsberufe oder Studienfächer zu bringen - aber ich kann darauf nicht klagen. Also die Welt und die Wirtschaft mit ihrem Fachkräftebedarf entwickeln sich weiter, mit Initiativen, mit vielen Ideen und die öffentliche Schule stellt sich hin und sagt „Gibt’s nicht!“, wie vor 20 Jahren. Kennen wir nicht, wollen wir nicht, damit beschäftigen wir uns nicht. Das finde ich schwierig.
UWE WOLFF: Also herrscht im Schulämterdenken die Steinzeit?
SIBYLLE SCHWARZ: Die Familien haben sich weiterentwickelt, die Schulen und Schulämter aber nicht. Auch die ganze öffentliche Seite hat sich nicht weiterentwickelt. Die blocken gesellschaftliche Veränderungen, Zwänge, Initiativen ab und es wird immer noch wie früher gehandhabt. Aber gleichzeitig fehlen ja die Fachkräfte. Wenn ein Schüler oder eine Schülerin nicht auf eine MINT-Schule kann, wo er oder sie mehr Physik hätte, dann studiert er oder sie vielleicht auch nicht Physik.
UWE WOLFF: Die Eltern sind selbstbewusster geworden, treffen dann allerdings auf ein verknöchertes System, das sie nicht akzeptieren wollen. Rückblickend auf die letzten 20 Jahre: Wie sehen Sie die Schulen, wie reagieren die inzwischen auf solche Klagen?
SIBYLLE SCHWARZ: Es gibt viele engagierte SchulleiterInnen, die fortschrittlich denken, viel machen und auch viel vom Wandel begriffen haben und leider zwischen Schulbehörden und Kultusministerien sitzen. Ich sehe das Problem bei den Schulbehörden. Da ist einfach zu viel Verwaltung, zu wenig Weitsicht und Veränderungswille. Wenn Schulen das selbst machen würden, ohne dass Schulbehörden oder Mittelbehörden reinreden, wären die auch anders drauf.
UWE WOLFF: Gibt es auch bei Privatschulen Klagen oder Eltern, die versuchen ihre Kinder auf Privatschulen einzuklagen? Da greift kein Verwaltungsrecht, oder?
SIBYLLE SCHWARZ: Ja genau, die Privatschule schließt ja einen ganz normalen schnöden Vertrag mit den Eltern. Den Zugang kann ich vor dem Verwaltungsgericht nicht einklagen. Einklagen kann ich nur einen Platz an der öffentlichen Schule. Bei Privatschulen gibt es andere Problemstellungen: Schulwechsel beispielsweise. Oder die Kinder kommen zurück aus dem Ausland oder sie werden zurückgestuft. Wenn es um Privatschulen geht, dann helfe ich mehr beim Kündigen des Schulvertrages und nicht so sehr dabei, das Kind auf die Schule zu bekommen.
UWE WOLFF: Wie lange dauert es eigentlich, bis eine gerichtliche Entscheidung um einen Schulplatz gefallen ist?
SIBYLLE SCHWARZ: Früher ging es schnell. Vor 10 Jahren konnten wir bei einem Eilverfahren mit einem Monat rechnen. Heute haben wir auch Eilverfahren, die ein halbes Jahr dauern. Das ist dann kein Eilverfahren mehr.
UWE WOLFF: Das bedeutet, dass das Urteil erst dann ergeht, wenn das Schuljahr bereits begonnen hat. Was passiert dann?
SIBYLLE SCHWARZ: Das kann sich tatsächlich bis zur dritten oder vierten Unterrichtswoche hinziehen. Wenn ich den Eltern das im Monat Mai erkläre, sagen sie „Ja, ja“ und spätestens in der 5. Ferienwoche drehen sie durch, weil Oma fragt, der Nachbar fragt, andere Kinder fragen, jeder fragt das Kind: „Wo gehst du denn hin?“ Das 10-jährige Kind kann aber nichts dazu sagen. Da verlieren viele die Nerven. Ich hatte auch Fälle, da habe ich am ersten Unterrichtstag oder in den ersten Tagen nach den Sommerferien den Schulplatz an der Wunschschule gehabt, aber die Familien hatten sich mental schon auf die nicht-gewünschte Schule eingestellt und wollten nicht mehr wechseln.
UWE WOLFF: Das wäre meine nächste Frage: Was passiert, wenn sich das Kind während der laufenden rechtlichen Auseinandersetzung, an der eigentlich nicht gewünschten Schule eingelebt hat?
SIBYLLE SCHWARZ: Das hatte ich auch schon. Das war ein Mädchen, das nicht auf die Wunschschule kam. Ich bin in den Ferien in die erste Instanz und dann in zweite Instanz gegangen. Montag ging der Unterricht los und Mittwoch oder Donnerstag saß ich über dem Schriftsatz für die zweite Instanz im Eilverfahren. Dann rief mich der Vater an und erklärte mir, dass ich den Fall in die Tonne kloppen könne. Warum? Seine Tochter hatte sich schon am ersten Schultag auf der nicht gewünschten Schule mit einem Mädchen angefreundet und nach der ersten Schulwoche schon die erste Übernachtungsparty bei ihrer neuen, besten Freundin. Ich habe dann meinen Schriftsatz gelöscht, den Eltern eine Rechnung gestellt und dann war’s das. Die Kinder können den Eltern gut die Pläne durchkreuzen.
UWE WOLFF: Welchen Rat geben Sie eigentlich Eltern, deren Kind nicht auf der Wunsch-Schule angenommen wird?
SIBYLLE SCHWARZ: Sie müssen sich überlegen, was sie wirklich wollen. Es kann sein, dass die Ergebnisse Mitte Mai kommen und ich vielleicht erst Mitte September weiß, wie es weitergeht. Also drei bis vier Monate, das muss ein Kind schon aus aushalten. Das ist nicht immer leicht: Vielleicht gibt es schone eine Schultüte zur 5. oder eine Familienfeier, Oma kommt mit zur Einschulungsfeier. Ich kann den Eltern dann aber noch nicht sagen, wohin ihr Kind am ersten oder zweiten Tag oder vielleicht in der dritten Woche gehen wird, weil ich es nicht weiß. Es kann sein, dass es erst einmal zwei oder drei Wochen in die Nicht-Wunschschule geht, bevor es an die Wunschschule wechselt. Das müssen die Familien nervlich durchhalten, auch das 10-jährige Kind. Das sage ich den Eltern Leuten offen. Es gibt dann viele, die diese Unsicherheit nicht durchmachen wollen.
UWE WOLFF: Wer bringt Sie mehr zum Staunen? Die Schulämter, oder die engagierten Eltern?
SIBYLLE SCHWARZ: Die engagierten Eltern wissen sehr gut, was sie wollen, aber an einer ganz bestimmten Stelle versagen sie dann trotz allen Engagements. Ein Beispiel: In Hessen müssen sie einen Antrag für die weiterführende Schule ausfüllen mit der Besonderheit, dass die Eltern drei Zeilen zur Begründung für die Wahl der Wunschschule haben. Die Gerichte sind sich da sehr einig: wenn da nichts steht, Pech gehabt! Meine erste Frage bei jeder Beratung ist deshalb: Haben Sie eine Kopie des Antrages gemacht? Was haben Sie unter „Anmerkungen“ geschrieben? Denn: Wenn ich für mein Kind ein Gymnasium mit Musik-Schwerpunkt wähle, und mein Kind spielt Geige seit es drei ist und im Chor singt es auch noch – dann muss ich das dort reinschreiben, sonst kann ich mich nicht darauf berufen. Und jetzt das neue Phänomen. Die Eltern, die selbstbewusster sind und wissen, was ihr Kind will und es auch fördern, scheitern ausgerechnet an dieser Stelle und lassen es an Sorgfalt fehlen. Entweder sie füllen nichts aus oder machen davon keine Kopie. Die Eltern machen am Tag 100 Fotos von ihren Kindern, aber nicht ein einziges von dem Antrag. Wenn dann die Ablehnung kommt, sind sie wieder total aktiv und rufen mindestens 20-mal das Schulamt an. Das finde ich spannend und kann es mir nicht erklären, weil eigentlich bemühen Sie sich extrem, dass das Kind beispielsweise das französische Abitur macht.